Corona und andere Katastrophen

»Wer innerlich weint, sollte nach außen besser lachen. Es bringt ja nichts, in einem See aus Tränen zu ertrinken.«
Wer das schrieb, hat die Hölle mit eigenen Augen gesehen. Er war der Chefankläger bei den Nürnberger Prozessen, Benjamin Ferencz. Schlimmeres als das, was er bei seiner Konfrontation mit dem Holocaust sah, ist kaum vorstellbar.

 

Das Leben dieses über 100 Jahre alten Mannes, der sich unermüdlich für eine menschenwürdigere Welt einsetzt und trotz aller Schreckenserfahrungen sein Lachen und seine Fähigkeit zu Glück und Dankbarkeit behielt, ist eine Blaupause für Optimismus. Aus Verzweiflung darüber, wozu Menschen fähig sind, wuchs Kraft zum Kampf gegen das Böse.

 

Unser aller Leben ist wie die so zerbrechliche Welt, in der wir uns aufhalten dürfen: Große Teile liegen im Dunkeln und große andere im Licht. Und alles ist ständig in Bewegung. Das ist so, wie es ist. Wir sind nicht mehr im Paradies (und wollen es zumeist auch nicht sein). Glück gibt es nur im Doppelpack – mit Unglück.

Alles ist geprägt von dieser Dualität. Nichts ist nur gut.

 

Die große Entscheidung, die jeder für sich treffen muss, zieht sich durch unser gesamtes Leben: Will ich auf der Seite des Lichts stehen und gegen das Dunkel kämpfen? Oder darüber verzweifeln und zerbrechen? Sinnerfahrung, Tiefe, Stärke und Wachstum gibt es auf der Seite derer, die an Fortschritt glauben, auch wenn er noch so schwer zu erringen ist. Die das Dunkel nicht einfach hinnehmen wollen.

»Hoffnung ist eben nicht Optimismus. Sie ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat – ohne Rücksicht darauf, wie es ausgeht«, sagte der tschechische Menschenrechtler Václav Havel.

 

Die dunkle Seite der Welt ist übervoll (➝ Krise, ➝ Trotzdem glücklich). Und ständig kommen neue Krisen und Herausforderungen hinzu, das Jahr 2020 brachte uns die Coronapandemie: Leichenhaufen neben Krankenhäusern. Nächtelang glauben, man müsse ersticken. Nach 66 Jahren Ehe nicht mehr zusammen sein dürfen. Einsam sterben. Gewalt erleiden in der kleinen Wohnung. Angst, Hunger, Massenarbeitslosigkeit. Wir verfolgen mit offenem Mund einen apokalyptischen Thriller, können uns aber nicht auf dem Sofa einkuscheln, sondern sind selbst die Darsteller*innen.

 

Hat Optimismus da eine Chance? Und wie! Nicht nur, weil menschliche Innovationskraft Impfstoffe und Therapien erschafft. Sondern auch, weil die aufgezwungenen Lebensweisen uns kluge Fragen stellen: Was und wer ist wirklich wichtig in unserem Leben? Sind Entschleunigung und Konzentration auf die Liebsten nicht wahrer Fortschritt in einer sich immer schneller drehenden und dabei zugrunde gehenden Welt? Wären wir zu solchen Gedanken und Schritten auch ohne die große Krise fähig gewesen? Ist sie nicht ein Angebot zum (Zusammen-)Wachsen?

 

Alles wird auf den Prüfstand gestellt. Und wie gut wir das bewältigen, wird die Grundlage für ein wahres Reifezeugnis. Nicht für Fachwissen, sondern für Werthaltungen und Verhaltensweisen. Wir sind gefordert wie selten. Und stellen leise fest, was für eine Bewährungsprobe uns das Leben hier stellt.

Wirklicher Grund zu Optimismus wäre, wenn wir einiges des Gelernten in den neuen Alltag retten würden. Etwa die Anteilnahme, das Mitleid, die helfende Hand. Oder den klugen Gebrauch des Netzes der Netze, den Respekt vor der Natur, die Orientierung nach innen.

 

Kriege, Cholera, Corona & Co. sind weiß Gott die Manifestation der dunklen Seite unserer Existenz. Aber sie schaffen Raum für Neues, lassen uns alles überdenken und kreieren neue Wahrheiten. Aus der Pesterfahrung erwuchs die Renaissance.

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