Internet

Nichts hat unsere Möglichkeiten während der uns vergönnten Zeit auf diesem schönen Planeten in den letzten Jahrzehnten umfassender verändert als die Digitalisierung und das Netz der Netze. Positiv wie negativ. In kaum einem anderen Bereich sind wir so gefordert, das Positive gewinnen zu lassen. Es liegt in unser aller Hand, wer hier gewinnt – die Optimist*innen oder die Pessimist*innen.

 

Ein kleiner Ausschnitt, was an Positivem möglich wird:

 

Bildung für alle – die ganze Menschheit kann kostenfrei lernen und hat unser gesamtes Wissen zu jedem Zeitpunkt und an jedem Ort vor und bei sich.

Künstliche Intelligenz managt unseren Alltag – vom Einkauf bis zur Terminplanung. Wir können uns auf all das konzentrieren, bei dem wir besser sind: Gefühle, Zwischentöne, Selbstbewusstsein, Intellekt, Kunst, Liebe, Empathie, Hilfe, Sinnlichkeit, Glück.

Alle Bücher, alle Filme und die gesamte Musik der Menschheit stehen überall und jederzeit jeder und jedem von uns zur Verfügung. Fast kostenfrei. Überall wird die Programmgestaltung in unsere Hände gelegt: Autonomes Handeln ersetzt stupide Berieselung.

Die Dematerialisierung und die Möglichkeit des unendlichen Teilens entlasten Umwelt und Ressourcenverbrauch.

Statt ewigen Suchens in unwirtlichen Fußgängerzonen oder Baumärkten lässt sich jedes Produkt der Welt in kürzester Zeit nach Hause bestellen – ohne Aufpreis.

Jede Reise und jede Dienstleistung lässt sich vom Sofa aus buchen – bei perfekter Preistransparenz und Kenntnis zahlloser Kund*innenmeinungen.

Statt stupideste Jobs ausüben zu müssen, um den Lebensunterhalt zu verdienen, werden wir irgendwann vielleicht ein Grund- einkommen haben und uns besser um Kinder, Kranke, Behinderte und Alte kümmern können.

Ohne irgendein Verkehrsmittel zu brauchen und sogar fast ohne Kosten können wir mit jedem anderen Menschen auf dieser Welt kommunizieren, per Stimme, Schrift, Bewegtbild und was sonst noch alles technisch machbar werden wird. Die gehbehinderte Oma kann mit ihrer Enkelin in Neuseeland chatten, sie können sich dabei sehen und Fotos und Filme austauschen.

Auch ein Großteil der Arbeit selbst in komplexen Teams lässt sich aus den eigenen vier Wänden heraus leisten.

All jenen, die sich schwertun mit Mobilität, wird ein kostenloses Fenster zur Welt geschenkt – mit aller Unterhaltung, Bildung, Information und Kommunikation.

Das Smartphone wird zum zweiten Mund, dritten Auge und Ohr.

Und wo ist die Chance größer, den Lieblingsmenschen zu finden? In einem Club – oder wenn ein durch gigantische Datenmengen und künstliche Intelligenz gefütterter Matching-Algorithmus einen Partner oder eine Partnerin empfiehlt, der oder die nach aller Erfahrung perfekt zu einem passen würde?

 

Unterbrechen wir hier mal kurz die lange Liste all der positiven Möglichkeiten, da sich eine perfekte Überleitung zu all den neuen Problemen und Gefahren ergibt:

 

Es mag ja sein, dass inzwischen bald die Hälfte aller Beziehungen im Netz der Netze entstehen. Aber gehen nicht genauso viele kaputt, weil jemand »aus Versehen« auf das Smartphone des anderen schaut und sich über das rote Herzchen wundert? Oder anfängt zu überwachen, wo er oder sie nach der Arbeit war?

Jedes neue Glück gefährdet altes. Und beim Internet ist dieser Mechanismus stärker und allumfassender denn je.

Wir können alles bestellen und konsumieren – aber werden dadurch zum gläsernen Menschen. Immer lesen und hören (zu- meist amerikanische oder chinesische) Konzerne mit und nutzen den Blick in die Wohn- und Schlafzimmer auf ebenso vielfältige wie erschreckende Weise.

Wahlen werden gewonnen, indem den potenziellen Wähler*innen auf der einen Straßenseite das eine versprochen wird und denen auf der anderen etwas völlig Entgegengesetztes.

Digitale Meinungsblasen und Gruppierungen verhindern jeden vernünftigen Diskurs und pushen damit den Populismus in der ganzen Welt. Die individuelle Brille, die jede und jeder von uns bei der Sicht auf die Welt trägt, wird bestätigt und perpetuiert.

Verlässlichkeit wird zum Auslaufmodell, überprüfbare Wahrheit zum exklusiven Gut. Dafür werden wir von Fake News und extremen Meinungen geflutet.

Cybermobbing, Hassmails und Shitstorms graben dunkle Gänge in unser Hirn.

Der sogenannte IS rekrutiert im Netz, im Darknet lassen sich ungestraft Drogen und Waffen kaufen, Kinderhandel und Kinderpornografie blühen.

22-jährige Influencer*innen vermischen unverblümt Privates mit Werbung und verführen Kinder und Jugendliche in den sozialen Medien ohne Korrektiv.

Unsere Kinder verschmelzen mit ihren Handys, kriegen Entzugserscheinungen, haben sie mal keines. Alles steht immer zur Verfügung, also verlieren sie jegliche Geduld. Konstant soll Dopamin ausgeschüttet werden durch scheinbare Zuwendung und Likes. Das Fotografieren, Filmen und Teilen wird wichtiger als das Erleben selbst. I am what I share. »Günther hat sein Käsebrot fotografiert. 32 Freunden gefällt das.« Das ständig verbreitete Abziehbilderglück gefährdet das reale: Warum bin ich nicht auch im Sonnenuntergang am Strand oder bei der Party?

Statt aufrechtem Gang gekrümmte Symbiose mit dem Bildschirm, Zerhäckselung der Aufmerksamkeit, Immererreichbarkeit statt wache Präsenz, Entwertung der direkten Umgebung zugunsten einer nervösen Verbundenheit mit der Ferne, Rumdaddeln statt Leidenschaft und Gestaltungskraft, Handygepiepse statt spannender oder lustiger Gespräche beim Abendessen, Mails und Messages statt Meditation und Nichtstun, keine Leere mehr, aber das Gegenteil von Fülle. Digitale Sucht, digitale Demenz, digitale Depression.

 

Man könnte mit Positivem wie mit Negativem immer weitermachen. Es geht um unser ganzes Leben. Gehen wir’s daher mit all unserer Kraft an. Der Ausgang des Kampfes ist unentschieden.

Aber wir können in den Fahrersitz, wenn wir uns nur energisch hineinsetzen und das Steuer übernehmen, anstatt es uns in den Bussen der amerikanischen und chinesischen Konzerne hinten bequem zu machen. Wir sind das Volk – ohne uns kann keiner. Das Netz sollte uns dienen – und nicht unterwerfen.

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