Trotzdem glücklich

Glück existiert auf dieser Welt leider oft nur in der Kategorie des Trotzdems. Menschen verhungern und verdursten, Epidemien raffen Hunderttausende dahin, Naturkatastrophen verwüsten ganze Länder und lassen Millionen ohne Dach über dem Kopf zurück. Kindern werden Füße und Hände durch Landminen abgerissen, Mädchen werden zur Prostitution gezwungen, Jungs werden verstümmelt, damit sie als Bettler mehr Almosen bekommen. Dazu kommen all die persönlichen Katastrophen – vom Verlust eines Kindes bis zum gebrochenen Halswirbel durch einen Sprung in zu flaches Wasser. Allein in Deutschland hören mehr als fünf Eltern pro Tag von einem Arzt die Diagnose: »Ihr Kind hat Krebs.« Und dann all die wirtschaftlichen Nackenschläge und Schieflagen vom Verlust des Arbeitsplatzes über die Privatinsolvenz bis zum Konkurs der mit so viel Herzblut aufgebauten Firma …

Gesundheit, Zufriedenheit und Stabilität sind im Leben stets gefährdet. Und trotzdem schaffen es die Menschen, dem Schicksal Inseln des Glückes abzuringen. Aber eben »trotzdem«. Und die Geschichten dahinter sind es, die uns rühren und Beispiel geben. Der  Mensch  ist – wenn  er denn  will – Weltmeister  im

»Trotzdem«.

 

Unsere ganze Erziehung ist geprägt davon: Mach dir keine

 

Sorgen, sei nicht wehleidig, das geht schon wieder vorbei, ein Indianer kennt keinen Schmerz, Heile, heile, Segen, morgen gibt es Regen, übermorgen Sonnenschein … Über Jahre hinweg senden Eltern solche Botschaften, weil sie selbst damit gut fuhren und unsere Spezies wohl nur so überleben kann. Und in vergangenen Epochen ging es wesentlich härter zur Sache: Stell dich nicht so an, beiß die Zähne zusammen, jetzt übertreib mal nicht, was einen nicht umbringt, macht einen stärker – so rief man den Heranwachsenden lange zu.

 

Das ist zu Recht die Botschaft der Erziehung: »Du wirst das schon schaffen, das geht schon wieder vorbei.« Sie schenkt uns in unterschiedlicher Ausprägung eine großartige Fähigkeit, mit Krisen umzugehen. Jeder von uns erlebt kleine und große – und würden wir jedes Mal die Flinte ins Korn werfen, wären wir nicht lebensfähig. Deshalb sind ausschließlich gute Nachrichten wohl auch so langweilig. Nur Glück gibt es nicht – und wir würden es wohl auch nicht wollen.

 

Fast jede*r, der oder die Schreckliches im Alltag überwand, erzählt, dass er oder sie jetzt bewusster, dankbarer, achtsamer und glücklicher lebe als vorher.

 

Einstein sagte kurz und bündig: »Es gibt viele Wege zum Glück. Einer davon ist aufhören zu jammern.« Was auch hilft: Sich schöne Momente innerlich in Weckgläser zu füllen, die man jederzeit öffnen kann, wenn es einem dreckig geht. Und die schrecklichen Erlebnisse, durch die man musste, in innere Abstellkammern zu räumen, in die man zwar ab und zu hineinmuss, deren Tür man danach aber auch schließen kann. Und natürlich die Relativierung des eigenen Leides durch den Vergleich mit schlimmerem. Krankenhausserien und Horrorfilme leben davon.

 

Wer uns die Richtung weist, sind Menschen, die sich das

 

Glück trotz widriger Umstände erkämpfen, die trotz aller Traumata »Ja« zum Leben sagen.

Im Jetzt-erst-recht erlebt der Optimismus seine Erfüllung. Viele Rollstuhlfahrer*innen sind glücklicher als Menschen, die laufen können, ohne darüber nachdenken zu müssen …

Die Paralympics feiern alle vier Jahre auf ganz besondere Weise das Trotzdem. Es macht sprachlos, wie Gelähmte und Einbeinige Volleyball spielen, wie Schwimmer mit einem Bein ins Publikum winken oder Rollstuhlfahrer Rugby spielen. Von Paralympics-Brustschwimmerin Kirsten Bruhn kommt der unfasslich weise Gedanke, es sei schon paradox, dass der schlimmste Moment ihres Lebens (ein Motorradunfall mit 21, der sie in den Rollstuhl zwang) in gewisser Weise die Grundlage sei für den schönsten – das Erringen der ersten Goldmedaille. Schöner kann man das Ineinander von Tragik und Triumph, von Elend und Glück nicht ausdrücken.

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