Veränderung

Eines der schönsten Gefühle von Optimist*innen: die Veränderung umarmen! Nicht vor ihr weglaufen, keine Angst vor ihr haben, sie nicht wegstoßen. Sondern sie umarmen.

Denn sie ist immer da, im Kleinen wie im Großen. Alles fließt. Klammere ich mich zu sehr an das Bekannte und Gewohnte, verliere ich Souveränität und Entspanntheit und werde irgendwann weggespült.

Sechste Klasse in der Schule, Erdkunde: Aus der reinen Quelle wird der Bach, aus dem Bach ein See, aus dem See ein Fluss, und der ergießt sich ins Meer. Das verdunstet und wird zu Wolken. Die regnen sich irgendwann wieder aus und …

Das ist der Kreislauf des Lebens, und wir sind viel stärker Teil desselben, als wir anzunehmen geneigt sind. Lernen wir, jede seiner Phasen zu genießen und das Beste aus ihr herauszuholen, um mit den jeweiligen Herausforderungen gut umgehen zu können! Freuen wir uns auf die Einschulung, aber auf andere Weise ebenso sehr auf das Ende der Schule. Genießen wir Freiheit und Ungebundenheit und ein wenig später vielleicht genauso, Kinder zu bekommen und Verantwortung für sie zu übernehmen. Wenn sie dann ins Leben gehen, haben wir die Wahl, deprimiert im leeren Kinderzimmer zu stehen oder mit Leidenschaft all das zu unternehmen, wovon wir so träumen. Naht das Ende des Berufslebens, gibt es wieder Optionen: Wir können verzweifeln ob der Leere und der durchs Altern bedingten Einschränkungen oder die Entschleunigung und das Nichts-mehr-beweisen-müssen gelassen genießen.

 

Das zieht sich durchs ganze Leben wie das Wasser durch die Welt. Ist der Wassertropfen, könnte er empfinden, lieber Bach oder Meer, Regen oder Fluss?

 

Angesichts jeder Veränderung im Leben ist es unsere Entscheidung, ob wir uns mit dem Handballen an den Kopf schlagen und wahrnehmen, dass sich mit jeder zugehenden Tür mindestens eine öffnet. Ob wir merken, dass die Ent-Täuschung uns eine Täuschung nimmt und Raum gibt für neue Wahrheit. Ob wir krampfhaft festhalten, was ohnehin nicht mehr zu halten ist, oder uns mit so viel Spaß neu erfinden, wie wir ihn empfinden, wenn wir ein neues Lieblingsgericht entdecken oder uns neu einkleiden. Ob wir offen sind für die Reize und Geheimnisse neuer Menschen in unserem Leben oder nur den gegangenen nachtrauern.

Und allgemeiner gedacht: Das Leben war früher nicht besser! Es verändert sich nur ebenfalls. Unsere Eltern haben sich über laute Rockpartys und Hasch geärgert, wir reiben uns die Augen angesichts der Allgegenwart von Smartphones, Instagram und TikTok.

 

Medien verkaufen sich besser mit negativen Nachrichten. Mit Katastrophen, Scheidungen, Unfällen, Morden. Daher ist unser Weltbild geprägt von dem Glauben, dass alles abwärts ginge. Der wunderbare und leider verstorbene Professor Hans Rosling zeigt in seinem Buch »Factfulness« gemeinsam mit seinen Co-Autorinnen auf das Beeindruckendste, dass die Welt insgesamt besser wird, gleichgültig ob es um Bildung, Kindersterblichkeit, Gesundheit, Hunger, Demokratie, Todesstrafe oder Gleichberechtigung geht. Nur haben wir noch nie die Schlagzeile gelesen: »Gestern wieder 135 000 Menschen aus extremer Armut befreit«. Wir verlieren angesichts zahlloser kleiner Fehlschläge und Skandale die großen und positiven Veränderungen auf unserem Globus aus dem Auge. Wir schlittern in eine dramatisierende Weltsicht – und gefährden dadurch unsere Energie, selbst zu den positiven Veränderungen beizutragen. Denn Geschichte geschieht nicht einfach, sie wird gemacht von uns allen. Denken wir nur an den Mauerfall, an Barack Obama und Kamala Harris oder an #metoo!

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Heinz-Paul Bonn (Montag, 19 Juli 2021)

    Lieber Florian,
    wieder ein echter (Florian-)?Langescheidt Text,
    der berührt , Nachdenken motiviert aber ohne sich „wieder mal“ belehrt zu fühlen. Schön

    Mein Beitrag zur Veränderung stammt von Reinhold Niebuhr:
    „Veränderung ist die Essenz des Lebens: sei bereit, aufzugeben, was du bist, für das, was du sein könntest.“
    Wie stets liebe Grüße Heinz�